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Tiefpunkt

12.08.2010

Bossvik – Risør – Bossvik – Vinterkjær; Skelsvik – Abzw. alte E18 – Skelsvik – Porsgrunn; Tønsberg – Nøtterøy

inges. 44 km

Lustige Routenbeschreibung. Aber so lustig war es nicht. Norwegen spielte mir an diesem Tag gleich mehrfach übel mit. Deswegen habe ich es mal wieder getan: ich bin ein Stückchen mit öffentlichen Verkehrsmitteln gefahren, hier mit dem Bus.

In der Nacht hatte es heftigst geregnet, ich beglückwünschte mich mehrmals zu der nicht ganz kostenneutralen Hütten-Entscheidung. Zu meiner üblichen frühen Zeit, zu der ich normalerweise aufstehe, war immer noch Regen im Programm. Im Halbschlaf noch änderte ich meinen Plan. Ursprünglich wollte ich um den ersten Meeresarm der Tagesetappe herumfahren, um dann den zweiten mit einer Fähre um 12:15 überqueren zu können. Plan 2 war, den ersten Meeresarm auch per Fähre zu überqueren, die aber erst um 11:15 fuhr.

Das verschaffte mir auch einen recht gemütlichen Tagesstart, und die Sonne kam auch schon wieder heraus. Beim Losfahren merkte ich allerdings schon, dass mir die Radlerei nicht leicht fiel – nach den vielen langen Etappen hatte ich irgendwie so gar keine Lust. Der recht lebhafte Verkehr auf der ziemlich engen Straße nervte, die Gegend war wieder mit ziemlich steilen dunkel bewaldeten Hügeln bestückt und eigentlich nicht so richtig attraktiv. Es standen außer dem aktuellen Tag noch eine Tagesetappe bis Nøtterøy auf dem Programm, wo ein ehemaliger Kollege direkt an der Radroute wohnt und ich einen Besuch schon vereinbart hatte. Also war die Stimmungslage eher bei ‘los jetzt, durchziehen’, als bei ‘wie schön ist doch mein Leben’.

8 km gingen über zwei deutliche Rippen, dann kam man nach Risør. Eigentlich ein wirklich schöner Ort, mit rein weißen Holzhäusern, die wie frisch aus der Waschmaschine glänzen. Ich war sehr früh dran und suchte nach dem Anleger für die MF Øisang, Norwegens älteste Autofähre, aus Holz. Ich freute mich richtig über dieses alte Bötchen, handelt es sich doch auch um eine Sehenswürdigkeit. Dann stand ich am Anleger – dort war mit Ducktape schludrig ein Schild befestigt: ‘Fähreferien in Woche 32’. Das darf nicht wahr sein! Auch hier hatte ich am Vorabend noch mal auf die Seite der Gesellschaft im Internet geschaut, wo nicht mal ein Hinweis auf diese Ausfallzeit zu finden war.

risoer

In Risør, eigentlich ein wunderschönes Örtchen. So richtig schwärmerische Stimmung wollte an diesem Vormittag aber nicht aufkommen

Um sicher zu gehen, dass die Fähre tatsächlich urlaubsbedingt ausfällt, fragte ich in der Tourist Information nach. Die Dame konnte mir das leider nur bestätigen und nannte mir als einzige Alternative außen rum fahren.

Meine Stimmung war damit ganz im Keller, sozusagen fünftes Untergeschoss. Erstens hasse ich zurück Fahren, zweitens war damit meine ganze Etappenplanung dahin und ich wollte spätestens am Donnerstag bei Achim in Nøtterøy sein, weil mir klar war, dass ich mal wieder die Beine ausstrecken muss. Und am Samstag sollte ich in Strömstad in Schweden sein, weil ich ab dort mit Stefan, meinem Partner, den Rest der Route bestreiten werde. Also was tun?

Ich beschloss, zur Schnellstraße hinauf zu fahren und ein Stückchen den Bus zu nehmen, dass ich stundenlange Fahrt an meinem geplanten Etappenziel landen würde. Also die 8 km wieder zurück, und noch mal ein Stückchen bis zur Kreuzung, wo die Überlandbus-Haltestelle ist. Fahrradmitnahme im Bus ist in Norwegen Gott sei Dank überhaupt kein Problem, entweder der Bus hat eine Aufhängevorrichtung, oder man legt sein Rad einfach in eine der zahlreichen geräumigen Gepäckräume unten im Bus hinein.

Auf diese Weise gelangte ich nach Skjelsvik, was im ‘Ballungsraum’ Skien – Porsgrunn an der Mündung des Telemark-Kanals liegt. Von hier aus wollte ich wieder an die Küste durchstechen. Zehlreiche Campingplätze verhießen nochmals eine schöne Gegend.

Die engen, steilen Hügel der Gegend machten das Straßennetz allerdings stellenweise sehr dünn. Auf der Karte sah ich, dass die Route eine ganze Weile mal wieder parallel zur E18 verlaufen sollte, offensichtlich auf der alten Trasse. Ich war schon froh über diese Routenführung, da eine einzige Alternative ein riesiger Umweg von ca. 25 km für dieses Stückchen existierte. Alle sonstigen Stichstraßen waren Sackgassen.

So brach ich Richtung Helgeroa auf. Natürlich ging es mal wieder ordentlich den Berg hinauf, eine schnellstraßentypische nicht enden wollende gleichmäßige Steigung. Als ich an den Kreuzungspunkt von alter und neuer E18 kam, traute ich meinen Augen nicht: die neue war wegen Baustelle gesperrt und der ganze Verkehr zog sich auf meiner Radroute dahin, eine endlose Reihe von Autos und LKWs in beiden Richtungen, die kaum auf der engen Straße Platz hatten! Fahrrad fahren war hier zwar nicht per Schild verboten, aber kam mir doch an dieser Stelle wie ein Selbstmordkommando vor.

Einen Versuch der Rettung nahm ich noch vor. Wenn die LKWs auf meiner Radroute spielen, nehme ich einfach die große Straße. Also irgendwie  über die Fahrbahn gerettet und auf die neue Straße. Zunächst war nur der Belag abgehobelt, alles ok. Dann sah ich aber schon von weitem schweres Baumfällgerät und die riesigen gelben Gelenk-LKWs auf einem offensichtlich dicken Matschebelag hin und her fahren. Egal, mal sehen was passiert. Irgendwann bemerkten die Menschen in den LKWs jedoch meine Anwesenheit und schienen wenig begeistert. Ich versuchte noch zu erklären, dass ja der ganze Verkehr auf der offiziellen Fahrradroute gelandet war und zu versuchen, irgendwie ans andere Ende zu kommen, aber man ließ mich nicht und man wollte mir auch nicht helfen.

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich dann richtig die Schnauze voll. Ich durfte den ganzen widerlichen Hügel wieder hinunter zum Ausgangspunkt. Oder zumindest die Hälfte, um die 25-km-Umgehung zu fahren. Das hätte aber auch nicht mehr funktioniert, da der Nachmittag doch schon recht fortgeschritten war. Ich beschloss, wieder auf die öffentlichen zurück zu greifen und gleich zu Achim zu fahren – ich hatte absolut keine Lust mehr, auf diesem Zweig der Radroute weiter zu fahren. Zu allem Überfluss fing es auch wieder an, zu regnen.

Der nächste Bahnhof war in Porsgrunn, 8 km entfernt. Mein GPS führte mich dorthin. Ich kaufte eine Fahrkarte nach Tønsberg und hatte noch eine gute Stunde Zeit. Die brauchte ich auch, musste ich doch erst mal ein offenes WLAN finden, da ich die Telefonnummer von Achim und Randi bisher nur in einer Mail hatte, die ich abrufen muss. Natürlich ist an so einem Tag kaum ein offenes Netz zu finden. Nach langer Suche durch zwelichtige Pubs fand ich im Außenbereich eines kleinen Einkaufscenters, was ich suchte.

Dann aber schnell zum Bahnhof zurück. 16:43 war die Abfahrtszeit. Ich saß mit viel Zeitreserve auf dem Bahnsteig. Irgendwann kam eine Durchsage, die sich auf meine Abfahrt bezog. Ich wartete nochmals einige Minuten – und nichts passierte. 10 Minuten später fragte ich den Menschen vom Narvesen-Kiosk, dort hatte ich auch meine Fahrkarte bekommen – und er erklärte mir, dass der Zug zur Zeit ein Bus sei und vor dem Bahnhofsgebäude abfährt. Und diesen hatte ich gerade verpasst. Super, noch eine Stunde warten.

OK, dann kann man wenigstens etwas zu Essen besorgen. Also fuhr ich wieder in die ‘Innenstadt’ und fand einen Pizza-TakeAway. Die Preise schienen hoch, aber das sind sie hier halt. Ich nahm die erste Pizza auf der Liste. 10 Minuten später hielt ich einen monströs großen Karton in der Hand – ich hatte offensichtlich ein Familienpizza bekommen. Hätte man ja auch mal sagen können, dass die Pizzen monstergroß sind – ich habe nicht mal die Hälfte geschafft. Auch so etwas widerfährt einem offensichtlich an solchen abstrusen Tagen.

Den nächsten Bus verpasste ich dann nicht, zum Glück fuhr er bis zu meinem Zielort durch und dank GPS-Navigation erreichte ich ohne weitere Zwischenfälle das Haus von Achim und Randi und den drei strohblonden Kindern Frida, Sverre und Mattis. Alle freuten sich offensichtlich über meinen Besuch – das tat gut nach so einem Tag!

5 Comments leave one →
  1. Die andere Ute permalink
    14.08.2010 12:07

    Schönen Gruß von meinem Ostsee-Umradler: Er sei damals wegen der unfahrbaren Offlinestücke an der schwedischen Küste (steil, kein Asphalt, schieben) auf der Nationalstraße gefahren. Mit Ohropax ging es!! Hast du etwa keine? 😉
    Was Leute sich bei Umrundungen antun…. Da hast du eine gute Entscheidung getroffen, finde ich.

  2. 12.08.2010 11:07

    Kopf hoch!
    Es sind gerade diese Etappen, die man dann Jahre später als Heldentaten vorweisen kann. Und eine perfekt organisierte Radtour (am besten mit Gepäcktransport und “Besenwagen”) macht doch nur halb so viel Spaß.

  3. 12.08.2010 08:38

    OMG ….. Was für eine Etappe. Dann gratuliere ich dir nochmal zum glücklichen Ende. 🙂

  4. michael hentschel permalink
    12.08.2010 08:35

    falls die Zeit bis Sonnabend knapp wird:
    1990 (zugegeben lange her) bin ich mal in einer ählichen Frustsituation samt Fahrrad von Fredrikstad(NO) nach Strömstadt(S) abends mit einer Katamaranfähre durch die Fähren geflitzt. Landschaftlich wunderschön.
    Weiß natürlich nicht, ob der heute noch fährt….

    Gruß
    MH

    • 12.08.2010 09:10

      Sandefjord – Strömstad, die gibts noch. Evtl. nehme ich die auch, bin noch nicht ganz schlüssig!

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